Hier kommt endlich etwas zu meiner Person. So gesehen ist es die Ergebnissicherung vom März. Die ganzen Gedanken, die ich mir diesen Monat bezüglich meiner Bulimie und meiner Persönlichkeit gemacht habe, will ich nun festhalten. Es war nicht ganz leicht so tief zu wühlen und hat einige Stunden voller Tränen und Rotz gekostet. Manchmal fing ich plötzlich und scheinbar ohne Grund an zu heulen.
Ich sah in Facebook eines der geposteten Videos. Ein Heiratsantrag, hoch angepriesen, etwas was sich jede Frau wünscht. Ich gehöre nicht zu diesen Frauen. Meine Abneigungen zu dem schrecklichsten Vertrag auf Erden sind eindeutig. Für mich bedeutet es Streit, Kampf ums gemeinsam erworbene Eigentum, Abzockerei und die schwer lösbare Bindung. Wie ihr daraus vielleicht schon schließen könnt, sind meine Eltern geschieden. Es war keine schöne oder leichte Scheidung und für alle drei Kinder eine Höllenfahrt. Auch wenn meine Eltern immer nur das Beste für mich und meine Geschwister wollten, haben sie fast alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Also dachte ich mir, dass der Heiratsantrag ja nicht so rührend sein kann. Im Prinzip ist es immer das gleiche. Am Ende saß ich heulend und völlig aufgelöst vor meinem Laptop. Nicht wegen dem Video, nein das Video hatte nur etwas angestoßen, was ich die letzten Tage davor zum Teil ausgegraben hatte. Ich beneidete die Frau in dem Video, nicht um den Heiratsantrag, dass wurde mir dann klar. Nein, um die unglaubliche Liebe, die sie von ihrem Mann bekam. Ich habe Angst nicht geliebt zu werden. Woher das kommt bin ich mir nicht ganz so sicher, aber Vermutungen kann ich ja schon mal aufstellen.
Nach dem Umzug von einem Bundesland ins andere fing ich an, die Streitigkeiten meiner Eltern mitzubekommen. Die gewohnte Umgebung und alle Freunde waren weit weg und das einzige was blieb, war der Streit am Wochenende, der abends leise durchs Haus hallte. Es folgten Tage, an denen meine Mutter morgens die Musik laut aufdrehte, um mal ihre Luft rauszulassen. Abende an denen mein Vater schreiend das Haus verließ, mit den Worten: "Ihr liebt mich nicht" Diskussionen über ein Handy, was ich mir im Alter von 13 wünschte, die mit dem Satz endeten: "Für ein Handy bin ich gut genug, aber als Vater nicht. Immer nur wollt ihr etwas" Die Krönung waren die Nächte in denen ich mein Vater tröstete, weil er sich weinend an Weihnachten in mein Bett kuschelte. Seit ich 12 bin, mag ich Weihnachten nicht mehr, in meinen Augen alles Schein und Trug, glückliche Miene zum bösen Spiel. Seit dem 13. Lebensjahr will ich keine Geschenke mehr. Man muss sich meine Liebe nicht erkaufen, ich kann auch ohne schöne, teure Geschenke Personen lieben. Diese ständige Abneigung und der Streit ließen mich zweifelt. Mit 10 Jahren fragte ich meine Mutter öfters, ob sie mich liebte. Ihre Antwort war natürlich immer ja. Doch überzeugen konnten mich ihre Worte nicht. Mit den Jahren sah ich, wie meine Mutter immer mehr unter der ganzen Situation und dem Stress litt. Meine Schwester fing an sich selbst zu verletzen. Starkes SVV. Alkohol Abstürze. Depressionen. Suizidgedanken. Therapie. Klinik Aufenthalt. Mein 3 1/2 Jahre jüngerer Bruder fragte mich mit elf Jahren, warum er eigentlich lebte, Tag für Tag. Es sei doch immer das selbe, alles monoton. Auch er entwickelte sich zum Problemkind, was die Bildung anbelangt. Starke Lese-Rechtschreibschwäche, rote Einträge, viele Nachsitz Stunden, knapper Schulverweis. Letzter Ausweg um ihn richtig zu schulen, war eine kleine Privatschule. Neben ihnen ging ich unter. Ich fühlte mich unbedeutend und unwichtig, einfach nicht geliebt. Ich fing an meine Tränen zu verstecken. Ich musste stark sein, jede Schwäche wurde als Fehler angesehen und mit Seufzern erwidert. Wenn ich perfekt war mochte mich meine Mutter. Ich wollte ihr ein Teil der Last abnehmen und den Kummer in ihren Augen verschwinden lassen. Mein Vater predigte sowie so jeden Abend von Leistungen. Ohne Leistungen, ohne Geld ist man nichts wert. Diese Einstellung übernahm ich. Gehorsam, Leistungen, Stärke, um jeden Preis perfekt sein. Meine Eltern haben mich ganze vier Jahre nicht einmal weinen sehen. Ich war sportlich, gut in der Schule, höflich, strebsam, ein Vorzeige Kind eben. Mit jedem Erfolg fühlte ich mich besser und ein Stückchen mehr geliebt. Ich setzte mir Ziele, die ich mit Fleiß erreichte, während die Welt um mich rum immer weiter in den Abgrund rutschte. Streit, Tränen, laute Musik, fliegende Luftpumpen, Blut an den Handgelenken. Doch ich war da, beständig, helfend im Haushalt und Küche, Seelsorger und Streitschlichterin. Ich schluckte alles runter, jedes Gefühl. Egal ob Trauer, Wut, Stress oder Enttäuschung mein Motto lautete: "Komm allein damit klar! Niemanden belasten, den Schwäche ist unerwünscht" Das was ich die letzten Jahre immer nur runtergeschluckt habe kommt jetzt alles zurück. Wenn ich jetzt Fehler zeige oder Schwäche, dann ist es das Schlimmste auf der Welt. Meine Versuche, meine Mutter irgendwie vor der Bulimie zu warnen, dass ich zu viel esse und nicht mehr aufhören kann, dass ich immer Appetit aber kein Hunger habe, werden nicht wahrgenommen, verdrängt oder überhört. Vielleicht bin ich in den Augen meiner Mutter einfach das "Sorgenlose Kind" und sie will mich nur so sehen. Doch ich kann nicht mehr aufnehmen, ich muss alles ausspucken. Mein Fass ist voll, doch mein Perfektionismus zwingt mich zum dünn sein. Warum Bulimie? Magersucht würde meine Familie unweigerlich mitbekommen und das perfekte Bild ist zerstört.
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