Das ist Bulimie!

Bulimie ist nicht das, was die meisten Leute denken, was es ist. Bulimie ist nicht einfach mal kotzen, weil man beispielsweise zu viel gegessen hat oder weil man der süßen Verführung in Form von Zucker nicht widerstehen konnte. Nein, so einfach ist das nicht. Bulimie kommt nicht einfach so. Ist nicht plötzlich da. Denn mal ehrlich, wer würde sich von heute auf morgen, nach jedem Essen, den Finger in den Hals stecken, würgen, bis alles nach und nach hochkommt? Jeder, der unter Bulimie leidet, weiß, dass es auch nicht so einfach geht, das Kotzen! Vor allem nicht beim den ersten Malen. Es ist würgen und das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Die Augen tränen, die Nase läuft. Und selbst wenn man dort angekommen ist, das alles eben genannte eingetreten ist, ist es noch nicht vorbei. Der größte Teil, von dem was man gegessen hat, ist weiterhin im Magen. Wer hätte es gedacht, doch richtig und effektiv zu kotzen braucht Übung.

Jeder der Bulimie hat, der muss auch schon mal in irgendeiner Weise Anorexie gehabt haben. Ob im leichten Maße, mit verzerrten Selbstbild oder schon weit fortgeschritten. Bulimie ist meistens die Folge der Anorexie. Durch das Hungern versucht man abzunehmen. Vielleicht hungert man ein Jahr oder ein wenig länger. Doch dann kommt der so allbekannte, der verhasste Heißhunger. Der oft noch unterstützt wird, von den Leuten, die einem Druck machen. Einen zwingen zu essen und ihn damit noch mehr aus einem herausholen. Bulimie ist Heißhunger. Bulimie ist absoluter Kontrollverlust. Es ist die absolute Entfremdung der eigenen Vorstellungen und Wünschen, von dem was und wie viel man isst, essen darf, essen muss. Es ist kein Mittagessen. Es ist fressen. Es ist etwas rasend schnell zu essen, sodass man es gar nicht richtig schmeckt, nicht genießt. Das ist auch nicht der Sinn eines Fressanfalls. Es geht bei der Bulimie nicht darum zu essen, weil man Hunger hat. Es ist essen, weil der Kopf es will. Egal ob man Hunger hat, egal ob man schon voll ist, egal ob man noch könnte. Es ist essen, weil man muss und gleichzeitig darf man nicht. Man hasst sich schon, bereut es schon, währenddessen man isst. Der Scham ist so groß, dass man danach wieder hungert. Man hungert und hungert, man verzichtet immerzu. Man macht all das, was man vorher schon gemacht hat. Nur dass der Heißhunger, die Gier, die Disziplinlosigkeit diesem Prozedur einem in die Quere kommt. Den Hunger unterbricht. Es ist hungern und fressen, hungern und fressen. 

Bulimie ist das Auskalkulieren von Zahlen und Zeiten. Es ist zu wissen, wie viel Kalorien was hat. Wie lange es dauert bis man verdaut. Daraus schließt man, wie viel Zeit einem zum kotzen bleibt. Es ist das Planen bis jemand wieder Daheim ist. Es ist Verheimlichen. Verheimlichen was man gefressen hat und dass man gekotzt hat. Es ist das Verwischen aller Spuren, immer wieder. Niemand darf was mitbekommen. Bulimie ist das Ablegen aller Hemmungen und Peinlichkeiten. Man hat keine Hemmungen mehr sich über die Kloschüssel zu beugen, sich die Finger in den Rachen zu stecken. Es macht einem irgendwann nichts mehr aus, dass die Hände voller Kotze sind. Es ist egal, dass der Rotz beim Kotzen das Gesicht hinunterläuft, dass die Nase blutet, dass die Tränen laufen und laufen und man weiterkotzt, weiter hochwürgt. Das verzweifelte nach Tipps suchen, wie es einfacher geht: Kaffee mit Salz trinken, zwei Liter Sprudelwasser hinunterwürgen....Hemmungen gehen verloren. Denn über das alles, würden die meisten nur den Kopf schütteln. Entsetzen würde sich breit machen, wenn man es ihnen erzählen würde. Sie würden dir sagen, dass es einfach nur "eklig" ist. Es ist einem peinlich, doch man lässt nichts mehr an sich ran. Darüber nachzudenken ist verboten. Schließlich wird es weiterhin praktiziert.

Doch Bulimie bedeutet vor allem Selbsthass. Man selbst tut sich das an. Der, der die Kontrolle verliert, der einen mit so viel Scham bedeckt, ist das eigene Spiegelbild. Ja, es ist Scham. Man würde es nie jemandem erzählen. Zu sagen, dass man Bulimie hat, ist dann eben doch so viel einfacher, als das zu erzählen, was ich hier aufschreibe. Niemand versteht, weiß was es wirklich ist, was es wirklich bedeutet, Bulimie zu haben. Bulimie ist Versagen. Kontrollverlust. Scham. Hass. Ein schmerzhafter Hass. Es ist das Verlieren, aller Würde, die man mal hatte. 

Das Gegeneinander spielen von so vielen Persönlichkeiten. Ständig dieser Drang zu essen und gleichzeitig dieser riesige Wunsch, das riesige muss, abzunehmen. Dieser Hass, weil man fett ist, weil man selbst Schuld ist, weil man einfach nichts auf die Reihe bekommt. Man kämpft und kämpft. Und mit jeder Heißhungerattacke verliert man einen Kampf. Fällt hin und doch steht man auf, nur um dann wieder zu verlieren. 

Der Verzicht und der Zwang spielen ein Spiel mit Dir.